Habilitationsprojekte und Postdocs

Habilitationsprojekt von Dr. Zbyněk Kindschi Garský

Was hat der Pelikan mit Christus zu tun oder das Einhorn mit der Jungfrau Maria? Antworten auf solcherlei Fragen findet man im Physiologus, einer griechischen, wohl im 2. Jhdt. n.Chr. in Ägypten verfassten Schrift. Unter Aufnahme biblischer wie paganer Motivik und Hermeneutik bietet sie erstmals eine christliche, christologische Gesamtdeutung der Natur. Über mittelalterliche Bestiarien findet die Symbolik des Physiologus Eingang in Kunst, Literatur und Heraldik. Die Bedeutung dieser tief in antiker Naturlehre und biblischer Motivik verwurzelten, christologisch ausgedeuteten Bildsprache bleibt heutzutage vielfach rätselhaft. Das vorliegende SNF-Projekt Das ‹Evangelium der Natur›. Der griechische Physiologus und die Wurzeln der frühchristlichen Naturdeutung setzt es sich zum Ziel, die Wurzeln dieser alten Natursymbolik des Physiologus aufzudecken und so einen hermeneutischen Schlüssel zu ihrer Deutung zu erarbeiten. 

SNF-Projekt von Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipold, Projektwebseite: www.physiologus.unibe.ch.

Habilitationsprojekt von Dr. Michael R. Jost

Das johanneische Geistverständnis wird in der Forschung kontrovers diskutiert. So wird die religionsgeschichtliche Verortung der Rede vom Geist (griechisch Pneuma) unterschiedlich beantwortet, was mit der disparaten Deutung des religionsgeschichtlichen Kontextes der Schrift und der neuartigen Bezeichnung als Paraklet zusammenhängt. Ist das Pneuma stoisch-stofflich zu verstehen, oder (mittel)platonisch transzendent, oder steht eine breitere Tradition jüdisch-alttestamentlicher Vorstellungen im Hintergrund? Eine simple Dichotomie zwischen einer hellenistischen und jüdischen Interpretation wurde zurecht kritisiert. Dennoch stehen in der Deutung des Geistes unterschiedliche Konzepte einander gegenüber, die nicht leicht harmonisiert werden können und daher zur Interpretation eine historisch präzise Kontextualisierung verlangen.

Um der Diskussion neue Impulse zu verleihen wird einerseits die Geistrede innerhalb der johanneischen Theologie verortet. Denn der Geist steht im Johannesevangelium nie für sich allein. Vielmehr ist er sowohl in ein göttliches Beziehungsgeflecht mit Vater und Sohn eingebunden, als auch in eine Beziehung zu den Gläubigen gestellt. Dabei verbindet der Geist den inkarnierten Logos mit den Gläubigen. Bisher wurde jedoch die Verbindung beider innerhalb des Johannesevangeliums kaum beschrieben, gerade auch aus dem Grunde, weil Inkarnation und Pneuma je nach religionsgeschichtlicher Kontextualisierung nicht kombinierbare Konzepte darstellen oder als eine paradoxe Dualität bezeichnet wurden.

Deshalb ist es andererseits notwendig, den religionsgeschichtlichen Ansatz weiterzuentwickeln. Dies bedeutet für die vorliegende Untersuchung, dass nicht isolierte Motive oder Begriffe untersucht werden, sondern dass herkommend von der Konzeption des Geistes religionsgeschichtlich ausgelotet wird, inwiefern dieses anschlussfähig war an Auffassungen des Geistes in philosophischen und religiösen Texten aus dem antiken Mittelmeerraum. Hierzu werde ich einen besonderen Fokus auf das Daimonion in der platonischen Tradition werfen (ins. das Daimonion des Sokrates), weil sich gerade hier konzeptionell interessante Parallelen zeigen, die bislang in der Auswertung der religionsgeschichtlichen Verortung der johanneischen Geistrede nicht berücksichtigt wurde.

Erste Ergebnisse wurden in Early Christianity publiziert: https://www.mohrsiebeck.com/artikel/the-daimonion-of-socrates-and-the-pneuma-paraclete-of-jesus-101628ec-2023-0006?no_cache=1

Entscheidende Teile des Projektes wurden im Rahmen eines Early-Postdoc-Mobility Austausches im Austausch mit Prof. George van Kooten an der Faculty of Divinity, University of Cambridge (UK), erarbeitet (siehe https://data.snf.ch/grants/grant/195286)

Habilitationsprojekt von Stefano De Feo

Über die Jahrhunderte standen Gott und Geschichte in einem komplizierten Verhältnis. Heutzutage ist es eine Binsenweisheit, dass Geschichte nicht nur aus einer Abfolge von Ereignissen besteht. Stattdessen bedeutet eine Darstellung der Geschichte immer, dass wir ihr eine Struktur und einen Sinn unterlegen. Dieses Teilprojekt beschäftigt sich mit der lexikalischen und semantischen Analyse der Begriffe für Gott und das Göttliche in den Biographien Plutarchs, des platonischen Philosophen und Priester des Apollon in Delphi, der zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments geschrieben hat. In der Tat ist es so, wie Swain (1989, 272) betont hat: «The difficulty in estimating Plutarch’s belief of providential interference in history lies principally in his terminology». 

Eine philologische, lexikalische und semantische Analyse ist daher ein sinnvoller Ausgangspunkt, um sich dieser komplexen Fragestellung zu nähern. Daher stellen sich die Hauptfragen, die mich auf diesem Weg bewegen, wie folgt: Welche Worte benutzt Plutarch, um auf das Eingreifen des Göttlichen hinzuweisen? Wo wird ein solcher Eingriff als Werk einer individuellen Gottheit verstanden? Wo erscheint es als Ausdruck der göttlichen Natur überhaupt? Können wir einen Unterschied zwischen θεός und δαίμων erkennen (vgl., e.g., Stoffel 2005, 306–309; über Plutarchs Dämonologie, vgl. Brenk 1977), und wenn ja, was wären die spezifischen Konturen einer solchen Unterscheidung? Welche Gottheiten greifen in die Geschichte ein und wie werden sie von Plutarch profiliert (cf. Valgiglio 1988)? Darüber hinaus gibt es mehr funktionale Vorstellungen vom Göttlichen, die gelegentlich auf traditionelle Personifikationen zurückgreifen, wie z. B. Tύχη, die Göttin der Wechselfälle des menschlichen Lebens (vgl. Swain 1989). Πρόνοια erscheint weniger als Personifikation, sondern vielmehr als Gottes Vorsehung für die Welt. Die Auseinandersetzung mit der Terminologie ist wichtig, um die Schnittstelle zwischen religiösen und philosophischen (d. h. metaphysischen) Traditionen im Denken Plutarchs zu untersuchen (vgl. Boys-Stones 2016).

Wie die jüngere Forschung zu Plutarchs Viten nahegelegt hat (e.g., Pérez Jiménez 2010), ist bei der Darstellung menschlicher Bestrebungen immer mit dem Eingreifen des Göttlichen zu rechnen. Grethlein (2013) schliesst auf «a strongly teleological design» in den Viten, indem er herausarbeitet, wie Plutarch die Entwicklung des individuellen Lebens seiner Charaktere darstellt. Auf dieser Grundlage könnte die traditionelle und standardisierte Interpretation der Biographien Plutarchs problematisiert werden, indem aufgezeigt wird, wie und warum Plutarchs Geschichtsauffassung in seinem philosophischen und vor allem theologischen Denken begründet ist und sich in seiner Sprache widerspiegelt.

Das Habilitationsprojekt wird im Rahmen des SNF-Projektes "Resonances through History: Biographically Grounded Construals of Divine Involvement in History in the Early Roman Imperial Era", welches von Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipold geleitet wird, durchgeführt.

Habilitationsprojekt von Dr. Travis R. Niles

In der frühen römischen Kaiserzeit wird die Philosophie zunehmend als τέχνη περὶ βίον/ars vitae, als «Lebenskunst» verstanden: Was ist wahres Leben und wie gelangt man dazu? Wer kann dieses «Know-how» vermitteln? Und – last but not least – worin gründet das Leben?  

Es kommt noch hinzu, dass die Linie zwischen «Philosophie» und «Religion» in dieser Epoche nicht so trennscharf ist, wie man oft annimmt: Es findet sich in der Philosophie viel «Religiöses» sowie umgekehrt viel «Philosophisches» in der Religion. Von daher dürfte es niemanden wundern, dass die neutestamentlichen Evangelien gerade im Hinblick auf die Lebensthematik am philosophischen Diskurs ihrer Zeit teilnehmen. Jesus wird gefragt «Guter Lehrer, was muss ich tun, damit ich ewiges Leben erbe?» (Mk 10,17 [vgl. Mt 19,16; Lk 18,18]) und laut dem vierten Evangelium behauptet Jesus sogar, selbst das Leben zu sein (Joh 14,6). Das Ganze findet seine theologische Fundierung darin, dass Jesus den Gott Israels nicht als «ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen» vorstellt (Mk 12,27 [vgl. Mt 22,32; Lk 20,38]). 

Die Evangelisten gehen also auf die Lebensthematik anhand einer exemplarischen Einzelfigur ein. Drehen wir aber jetzt den Spiess um: Sind die Evangelien in dieser Hinsicht «Einzelgänger» in der Literatur ihrer Zeit? Der Philosoph und Apollonpriester Plutarch von Chaironeia hat ja nicht nur «ethisch-moralische» Traktate verfasst, wo es u.a. um das gelingende Leben geht (z. B. Non posse suaviter vivi secundum Epicurum), sondern auch «Lebensbilder» berühmter Griechen und Römer. Auch im jüdischen Hellenismus wird anhand der Schilderungen exemplarischer Individuen philosophiert, nämlich in den Schriften des Philon von Alexandria zu den Patriarchen Israels. Was trägt denn die Beobachtung zum Umgang der Evangelisten mit der Lebensthematik für die Analyse der plutarchischen und philonischen «Lebensbilder» aus? Werden auch sie dazu eingesetzt, die vielfältigen Fragen rund um das Leben durchzudenken und vielleicht sogar die Leserschaft zum Leben hinzuführen?

Wird dieses Anliegen in einem ersten Schritt geklärt, wird dann im zweiten Schritt gefragt, inwieweit die «Lebensbilder» dieser drei corpora als Mittel der indirekten Polemik fungieren. Es wird in der Forschung weitgehend anerkannt, dass die Evangelien ihre Adressaten auch daraufhin ansprechen wollten, wie sie mit konkurrierenden religiösen Entwürfen umzugehen haben. Die Darstellung Jesu als neuen Moses, die Auseinandersetzung mit den Pharisäern und das Gesetzesverständnis im Matthäusevangelium, z. B., ergeben Sinn vor der Annahme, dass der Evangelist gegenüber Konkurrenzangeboten einige brennende religiöse Fragen für seine Gemeinde klären wollte. Können Philons Patriarchenviten auch in diesem Sinne gelesen werden, nämlich als Mittel in der Auseinandersetzung mit anderen Kreisen der jüdischen Gemeinschaft in Alexandria? Und ist es sinnvoll, Plutarchs Parallelviten als Fortsetzung seiner Auseinandersetzung mit Stoikern, Epikureern oder auch zeitgenössischen Herrschaftsbildern zu lesen?

Das Habilitationsprojekt wird im Rahmen des SNF-Projektes "Resonances through History: Biographically Grounded Construals of Divine Involvement in History in the Early Roman Imperial Era", welches von Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipold geleitet wird, durchgeführt.

Habilitationsprojekt von Dr. Christine Oefele

Die Johannesoffenbarung ist das lauteste Buch des Neuen Testaments – wie sonst nirgends sprechen, rufen oder singen unzählige Stimmen, Posaunen werden geblasen und Kitharen geschlagen, Donner rollen und Wasser rauschen. Ein guter Grund, den “Soundtrack” der Johannesoffenbarung zu untersuchen und mit dem anderer antiker jüdischer und christlicher Apokalypsen zu vergleichen.

Entlang der Kategorien Stimmen – Geräusche – Musik werden die akustischen Features beschrieben und ausgewertet: Was ist typisch für den Soundtrack von Apokalypsen generell? Was zeichnet die Johannesoffenbarung auf akustischer Ebene im Vergleich zu den anderen Texten aus? Auf der Basis der Analyse wird zum einen nach dem Beitrag der Ergebnisse dieser Studie zur Auslegung des Textes gefragt und danach, wie ein ästhetisch geprägter Ansatz den rein kognitiven Zugang zu diesem (bilder- und) klangreichen Werk ergänzen könnte. Zum anderen soll sich zeigen, ob das Gesamtergebnis etwas zum Diskurs über die Gattung Apokalypse beiträgt.

Begleitung: Prof. Dr. Benjamin Schliesser

Habilitationsprojekt von Dr. Andreas-Christian Heidel

Die Erfahrungsdimension des religiösen Lebens stellt eine vernachlässigte Dimension in der jüngeren Erforschung der Entwicklung der frühchristlichen Bewegung in ihrem griechisch-römischen Umfeld dar. Der Begriff der „religiösen Erfahrung“ war und ist aus mehreren Gründen eine umstrittene Kategorie. Dazu zählt vor allem die inhärente Schwierigkeit, Erfahrung innerhalb einer rationalen und materialistischen Weltanschauung zu verstehen, die den unbestrittenen Rahmen für alle modernen historischen Ansätze darstellt. Die Kategorie „religiöse Erfahrung“ daher zu ignorieren oder gar zu vernachlässigen, bedeutet jedoch, etwas zu übersehen, was das Neue Testament und die frühchristlichen Schriften als gegebene Dynamik und entscheidenden Faktor für die Entwicklung dieser Bewegung voraussetzen. 

In meinem Habilitationsprojekt gehe ich daher der Frage nach, wie religiöse Erfahrung als Faktor in der Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und speziell in der Erforschung der Entwicklung frühchristlicher Gemeinschaften beschrieben werden kann. Zwar ist ein direkter Zugriff auf die menschliche Erfahrung selbst nicht möglich, aber es lässt sich anhand der zugänglichen Quellen untersuchen, wie Individuen und Gruppen darauf reagieren und inwiefern sich ihre Reaktionen in direkten und indirekten Zeugnissen widerspiegeln. Zu solchen Reaktionen zählen vor allem körperliche, emotionale, rationale und verhaltensbezogene Aspekte. 

Daher untersuche ich in meinem Forschungsprojekt aus religionswissenschaftlicher und historisch-phänomenologischer Perspektive ausgewählte Dimensionen des städtischen Umfelds der frühen Christen im römischen Korinth des ersten und zweiten Jahrhunderts im Hinblick auf ihre religiösen Erfahrungspotentiale. Die Konkretisierung bietet sich nicht zuletzt dadurch an, weil sich mit diesem Kontext verhältnismäßig viele frühchristliche Quellen verbinden und vergleichen lassen. 

Der derzeitige Rahmen umfasst eine Untersuchung des Asklepios-Kults, des Isis-Kults, häuslich-privatisierter Religion (bzw. „gelebten Religion“) sowie dem Pilgerwesen und lokalen religiösen Traditionen. Mein Ziel ist es, erstens ein „Erwartungsspektrum“ für religiöse Erfahrung für diese Bereiche zu beschreiben, die Individuen innerhalb dieser Phänomene machen können, und zweitens zu fragen, ob die gelebte Religionsausübung der Jesus-Nachfolger mit diesen etablierten Mustern übereinstimmen, diese modifizieren oder gänzlich neue Wege einschlagen. 

Dieses Habilitationsprojekt ist Teil des SNF-Projekts "ECCLESIAE: Early Christian Centers – Local Expressions, Social Identities & Actor Engagement," welches von Prof. Dr. Benjamin Schliesser geleitet wird.